Dienstag, 6. November 2012

kl.12: ueber susan sontag: "Das Leiden anderer betrachten"

Susan Sontag war eine amerikanische Schriftstellerin, eine bekannte intellektuelle Frau, die unter anderem die amerikanischen Verhältnisse kritisierte. Hier geht es um ein Buch von ihr...
Bilder erzählen keine einfachen Geschichten. Sie sind keine "nackte Feststellung von an das Auge gerichteten Tatsachen", wie Virginia Woolf es beschrieb. Auch das Foto, so Susan Sontag, ist hoch subjektiv. Bis hin zum Vietnam-Krieg gar fand man kaum etwas dabei, Bilder, die das Grauen dokumentieren sollten, nachzustellen oder neu zu arrangieren. Zwischen den Absichten des Fotografen und der Perspektive der Betrachter geht das Foto seinen eigenen Weg. Ruft nach Frieden oder schreit nach Rache.

Während der Kämpfe zwischen Serben und Kroaten zu Beginn der jüngsten Balkankriege wurden von der serbischen und von der kroatischen Propaganda die gleichen Fotos von Kindern verteilt, die bei der Beschießung eines Dorfes getötet worden waren. Man brauchte nur die Bildlegende zu verändern, und schon ließ sich der Tod der Kinder so und anders nutzen.

Sontag gesteht dem Betrachter zu, dass das Bild des Abstoßenden, der verletzte, verstümmelte Körper, auch fasziniert. Schon in Platons Staat kann der Jüngling Leontios seine Lust nicht bezwingen, die Körper von Hingerichteten mit weit geöffneten Augen zu betrachten. Die christliche Kunst befriedigte in den Höllendarstellungen den Appetit auf die Schmerzen der anderen.

Allerdings gibt es eherne Gesetze. Fremde, exotische, uns unbekannte Menschen werden schutzloser in ihrem Leiden ausgestellt. Gegenüber Toten, die uns näher sind, erwarten wir Diskretion. Hier bestand immer ein strenges, wenn auch oft verletztes Gebot, sie mit unverhülltem Gesicht zu zeigen. Noch die Darstellung amerikanischer Kriegstoter und Kriegsgefangener im letzten Irak-Krieg und die darauf folgenden Proteste machten dies deutlich.

Je weiter entfernt oder exotischer der Schauplatz, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Toten und Sterbenden unverhüllt und von vorn zu sehen bekommen. So besteht das postkoloniale Afrika im öffentlichen Bewusstsein der reichen Länder ... hauptsächlich aus einer Abfolge unvergesslicher Fotos von Opfern mit weit aufgerissenen Augen.

Manchmal haben solche Gräuelfotos eine eigentümliche Ästhetik, auch das gesteht Susan Sontag zu. Selbst wenn man angesichts der Fotos mit den Ruinen des World Trade Centers einzig davon sprach, sie seien "surreal", so die Schriftstellerin hellsichtig, "verbirgt sich (darin) nichts anderes als die in Ungnade gefallene Idee der Schönheit." Warum kann man die Ambivalenz der verschiedenen Signale, die von einem solchen Foto ausgehen, nicht zulassen?

(Das Foto) fordert: Schluss damit. Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!

Mit Recht stellt sich natürlich die Frage, wie mit der stetig wachsenden Flut von Bildern umzugehen ist. Keine neue Frage. Denn zur Kritik der Moderne gehörte von Anfang an die These, "das moderne Leben bestehe aus einer Abfolge von Schrecknissen, die uns verderben und an die wir uns nach und nach gewöhnen". Heutige Stimmen verweisen kulturkritisch darauf, "dass Kriegesgräuel durch das Fernsehen zu einer allabendlichen Belanglosigkeit verkümmert seien." Wir seien zu einer "Gesellschaft des Spektakels" verkommen. Die Wirklichkeit habe abgedankt und die Medien hätten ihre Herrschaft angetreten.  Es wird das Zeitalter der Simulation und der Tod der Realität ausgerufen.

Susan Sontag behauptet also, dass es wirkliche Grausamkeit gibt. Und dass Millionen von Fernsehzuschauern die scheußliche Wirklichkeit nicht nur konsumieren, sondern -mitleiden. Nicht der Verbreitung von Kriegsbildern hafte etwas Zynisches an. Zynisch sei vielmehr der moderne Weltbürger, der versucht, "innere Bewegung um jeden Preis zu vermeiden", um Gewalt weiterhin als Spektakel konsumieren zu können.
Bilder bleiben, so schreibt sie, Appelle. Sie rütteln auf gegenüber dem Schrecken von Krieg und Terror, auch wenn sie davon nur einen abgeschwächten Eindruck hinterlassen.

Es ist kein Fehler, kein Zeichen von Schwäche, wenn wir keine Verbrennungen davontragen, wenn wir nicht genug leiden, während wir diese Bilder sehen. Wir erwarten von einem Foto ja auch nicht, dass es unsere Unwissenheit hinsichtlich der Geschichte und der Ursache der Leiden behebt, die es aufgreift und ins Bild rückt. Solche Bilder können nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen - dazu, die Rationalisierungen für massenhaftes Leiden, die von den etablierten Mächten angeboten werden, kritisch zu prüfen.

aus: Ingeborg Breuer, 11.02.2004, Deutschlandfunk

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