Das
vielleicht größte Missverständnis über die Fotografie kommt in dem Worte „die
Kamera lügt nicht" zum Ausdruck. Genau das Gegenteil ist richtig. Fotos
sind „Lügen" in dem Sinne, daß sie nicht vollkommen der Wirklichkeit
entsprechen: sie sind zweidimensionale Abbildungen dreidimensionaler Objekte, teils
Schwarz-Weiß-Bilder farbiger Wirklichkeit, „starre" Fotos bewegter
Objekte. Jedes Foto, das „nichts geworden ist", jedes Bild, das für den
Fotografen eine Enttäuschung war, weil es nicht das ausdrückte, was er sagen
wollte, ist ein Beispiel dafür. Und doch ist jedes Foto gleichzeitig eine
getreue und authentische Wiedergabe eines Objekts oder eines Geschehnisses in
dem Augenblick der Aufnahme. Dieses scheinbare Paradoxon erklärt sich dadurch,
daß ein Foto eine authentische Abbildung alles Sichtbaren ist, das im Bereich
des Objektives lag. In erster Linie ist es die Fülle nichtssagender Dinge, der
Mangel an grafisch wirksamen Eigenschaften und das Fehlen gefühlsmäßig
bedeutsamer nicht greifbarer Dinge, die so viele Fotos als „Lügen"
erscheinen lassen.
aus: Feininger, Andreas: Die Neue Fotolehre. Düsseldorf 1965. S. 69 ff., S. 287
ff. und S. 370 fT.
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