Susan Sontag war eine amerikanische Schriftstellerin, eine bekannte intellektuelle Frau, die unter anderem die amerikanischen Verhältnisse kritisierte. Hier geht es um ein Buch von ihr...
Bilder erzählen keine einfachen Geschichten. Sie sind keine "nackte
Feststellung von an das Auge gerichteten Tatsachen", wie Virginia Woolf
es beschrieb. Auch das Foto, so Susan Sontag, ist hoch subjektiv. Bis
hin zum Vietnam-Krieg gar fand man kaum etwas dabei, Bilder, die das
Grauen dokumentieren sollten, nachzustellen oder neu zu arrangieren.
Zwischen den Absichten des Fotografen und der Perspektive der Betrachter
geht das Foto seinen eigenen Weg. Ruft nach Frieden oder schreit nach
Rache.
Während
der Kämpfe zwischen Serben und Kroaten zu Beginn der jüngsten
Balkankriege wurden von der serbischen und von der kroatischen
Propaganda die gleichen Fotos von Kindern verteilt, die bei der
Beschießung eines Dorfes getötet worden waren. Man brauchte nur die
Bildlegende zu verändern, und schon ließ sich der Tod der Kinder so und
anders nutzen.
Sontag gesteht dem Betrachter zu, dass das Bild des
Abstoßenden, der verletzte, verstümmelte Körper, auch fasziniert. Schon
in Platons Staat kann der Jüngling Leontios seine Lust nicht bezwingen,
die Körper von Hingerichteten mit weit geöffneten Augen zu betrachten.
Die christliche Kunst befriedigte in den Höllendarstellungen den Appetit
auf die Schmerzen der anderen.
Allerdings gibt es eherne Gesetze. Fremde,
exotische, uns unbekannte Menschen werden schutzloser in ihrem Leiden
ausgestellt. Gegenüber Toten, die uns näher sind, erwarten wir
Diskretion. Hier bestand immer ein strenges, wenn auch oft verletztes
Gebot, sie mit unverhülltem Gesicht zu zeigen. Noch die Darstellung
amerikanischer Kriegstoter und Kriegsgefangener im letzten Irak-Krieg
und die darauf folgenden Proteste machten dies deutlich.
Je weiter entfernt oder exotischer der Schauplatz, desto größer die
Wahrscheinlichkeit, dass wir die Toten und Sterbenden unverhüllt und von
vorn zu sehen bekommen. So besteht das postkoloniale Afrika im
öffentlichen Bewusstsein der reichen Länder ... hauptsächlich aus einer
Abfolge unvergesslicher Fotos von Opfern mit weit aufgerissenen Augen.
Manchmal
haben solche Gräuelfotos eine eigentümliche Ästhetik, auch das gesteht
Susan Sontag zu. Selbst wenn man angesichts der Fotos mit den Ruinen des
World Trade Centers einzig davon sprach, sie seien "surreal", so die
Schriftstellerin hellsichtig, "verbirgt sich (darin) nichts anderes als
die in Ungnade gefallene Idee der Schönheit." Warum kann man die
Ambivalenz der verschiedenen Signale, die von einem solchen Foto
ausgehen, nicht zulassen?
(Das Foto) fordert: Schluss damit. Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!
Mit
Recht stellt sich natürlich die Frage, wie mit der stetig wachsenden
Flut von Bildern umzugehen ist. Keine neue Frage. Denn zur
Kritik der Moderne gehörte von Anfang an die These, "das moderne Leben
bestehe aus einer Abfolge von Schrecknissen, die uns verderben und an
die wir uns nach und nach gewöhnen". Heutige Stimmen verweisen
kulturkritisch darauf, "dass Kriegesgräuel durch das Fernsehen zu einer
allabendlichen Belanglosigkeit verkümmert seien." Wir seien zu einer
"Gesellschaft des Spektakels" verkommen. Die Wirklichkeit habe abgedankt
und die Medien hätten ihre Herrschaft angetreten. Es wird das Zeitalter der Simulation und der Tod der
Realität ausgerufen.
Susan
Sontag behauptet also, dass es wirkliche Grausamkeit gibt. Und
dass Millionen von Fernsehzuschauern die scheußliche Wirklichkeit nicht
nur konsumieren, sondern -mitleiden. Nicht der Verbreitung von
Kriegsbildern hafte etwas Zynisches an. Zynisch sei vielmehr der moderne
Weltbürger, der versucht, "innere Bewegung um jeden Preis zu
vermeiden", um Gewalt weiterhin als Spektakel konsumieren zu können.
Bilder bleiben, so schreibt sie,
Appelle. Sie rütteln auf gegenüber dem Schrecken von Krieg und Terror,
auch wenn sie davon nur einen abgeschwächten Eindruck hinterlassen.
Es ist kein Fehler, kein Zeichen von Schwäche, wenn wir keine
Verbrennungen davontragen, wenn wir nicht genug leiden, während wir
diese Bilder sehen. Wir erwarten von einem Foto ja auch nicht, dass es
unsere Unwissenheit hinsichtlich der Geschichte und der Ursache der
Leiden behebt, die es aufgreift und ins Bild rückt. Solche Bilder können
nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum
Nachdenken, zum Lernen - dazu, die Rationalisierungen für massenhaftes
Leiden, die von den etablierten Mächten angeboten werden, kritisch zu
prüfen.
aus: Ingeborg Breuer, 11.02.2004, Deutschlandfunk